22. Februar 2023

Ein wiederentdeckter Held

Im Masterstudiengang «Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung» forschte Désirée Hilscher im Sommer bis Herbst 2020 über den deutschen Juristen Fritz Bauer. Nun wurde ihre Masterarbeit als Buch veröffentlicht.

«Fritz Bauer? Wer ist das?» – diese Frage stellte sich vor ein paar Jahren auch Désirée Hilscher. Die damalige Studentin der Geschichtsdidaktik hatte einen Film über den deutschen Juristen gesehen – und dann noch einen. «Ich hatte noch nie von ihm gehört oder konnte mich zumindest nicht daran erinnern. Da stellte ich mir die Frage, warum ist der denn nun plötzlich so prominent?» Die Antwortsuche beschäftigte sie dermassen, dass daraus ihre Masterarbeit in Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung an der PH Luzern entstand.

Bei ihren Recherchen zum bereits 1968 verstorbenen Fritz Bauer sei sie darauf gestossen, dass es einen Kreis von Forschenden gebe, die grossen Wert darauf legten, dass man sich richtig an ihn erinnere: «Ich fragte mich dann, wie wird öffentliche Geschichte gemacht und warum hat sich die Wahrnehmung von Bauer so verändert in den letzten 20 Jahren?» Die Geschichte Fritz Bauers ist eng mit der Aufarbeitung des Holocausts in Deutschland verknüpft, also einem durchaus anspruchsvollen Thema, das erst mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen (1963–1965) in Deutschland erstmalig überhaupt zu einem wurde – 20 Jahre nach all den Gräueltaten. Fritz Bauer hatte diese Prozesse als Generalstaatsanwalt erst ermöglicht und vorangetrieben. Entsprechend wurde die Arbeit Bauers von Zeitgenossen nicht nur wohlwollend zur Kenntnis genommen. Nach seinem Tod geriet er jedoch in Vergessenheit. Die Populärkultur erinnerte sich erst zu Beginn der 2010er-Jahre wieder an ihn – und er rückte immer stärker ins kollektive Gedächtnis.

Gebrauchsgeschichte braucht Opfer

Dass nun gerade Fritz Bauer wieder entdeckt wurde, ist gemäss Désirée Hilscher kein Zufall: «Er ist ein klassischer Fall der Gebrauchsgeschichte», erklärt sie. Denn heute sei viel mehr über seine Geschichte bekannt als noch 1965. Damals sei er als Jurist eine starke Person gewesen. «Heute erinnert man sich auch an seine Inhaftierung im Konzentrationslager, seine jüdische Abstammung oder daran, dass er Sozialdemokrat war.» Es habe gar Gerüchte geben, Fritz Bauer sei homosexuell gewesen. «Durch diese Verschiebung vom starken Juristen zum Opfer des NS-Regimes wird er erst zum positiven Helden – also zu einer möglichen Identifikationsfigur.»

Solche positiven Figuren aus der NS-Zeit seien sehr selten, erklärt Hilscher: «Häufig werden Sophie Scholl oder Oberstleutnant von Stauffenberg genannt. Bei genauerer Betrachtung wird es mit der Identifikation mit von Stauffenberg aber schon sehr schwierig…» Entsprechend dankbar wurde die Wiederentdeckung Fritz Bauers in den letzten 15 Jahren von einem Teil der Bevölkerung angenommen: «Privatpersonen rufen ihn mittels Petitionen für Gedenkstätten oder Umbenennung von Strassen ins kollektive Gedächtnis zurück», so Hilscher. Interessanterweise auch an Orten, wo Fritz Bauer gar nie gewirkt hat.

Recherche trotz geschlossener Archive

Auf der Suche nach den Hintergründen ist Désirée Hilscher auf ganz viele verschlossene Türen gestossen – dies jedoch nur Pandemie-bedingt. Denn im 2020 waren auch in Deutschland alle Archive wegen Corona einfach geschlossen. «Ich bin so vielen Menschen in den unterschiedlichsten Archiven dankbar, dass sie für mich ‹hinunter› gestiegen sind und Dokumente rausgesucht haben», erinnert sich Hilscher. Das Fritz-Bauer-Institut ist dadurch auf ihre Arbeit aufmerksam geworden und war so begeistert, dass die Institutsleiterin Hilscher anfragte, ob sie ihre Arbeit auch als Buch veröffentlichen könnte. Dankbar nahm Désirée Hilscher an, auch wenn dadurch nochmals Extraarbeit auf sie zu kam. Denn neben ihrer Arbeit absolviert Hilscher auch noch ein SEK-II-Studium ebenfalls an der PH Luzern. Dieser Überarbeitungsaufwand habe sich aber gelohnt: «Ich und der Text haben enorm vom Lektorat profitiert.»

Das Buch «Den Helden geschaffen» von Désirée Hilscher ist im Oktober 2022 deutschen Wallstein Verlag erschienen.


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MA in Sozialwissenschaften
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