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Eine im Frühling 2025 geplante Lernwerkstatt bringt ein neues Thema in die Schule, das derzeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit grosse Präsenz und hohe Relevanz besitzt. Angela Müller und Jasmin Gerig reisten im Juli 2024 nach Kanada, um mehr über die Geschichte und Lebensrealität indigener Gemeinschaften in Nordamerika zu erfahren. In Kanada pflegten sie ihr indigenes Netzwerk, besuchten Reservationen und erlebten Land und Leute von einer Seite, die Touristen meist verborgen bleibt.
Schweizerinnen und Schweizer reisen gerne nach Kanada. Das Land, das oft als der Schweiz ähnlich beschrieben wird, gehört sogar zu den Top-Ten der beliebtesten Auswanderungsziele. Viele glauben, Kanada gut zu kennen. Doch wie viel wissen wir wirklich über die Geschichte und Kultur des Landes? Wie leben die Indigenen heute in Kanada? Mit welchen Vorurteilen und Herausforderungen kämpfen sie? Wo und wie zeigt sich ihre Emanzipation? Welche Bilder und Stereotypen prägen unser Denken über sie? Und warum ist es wichtig, dass wir in der Schule darüber sprechen?
Diese und weitere Fragen stehen im Mittelpunkt der geplanten Lernwerkstatt «Starke Stimmen: Im Dialog mit Indigenen aus Kanada» im Frühling 2025. Grundlage für dieses spannende Projekt des Instituts für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen der PH Luzern (IGE) ist das SNF-Projekt «Postkoloniale Sichtbarkeit: Die Emanzipation der kanadischen First Peoples im Vergleich mit schweizerischen Kanada-Bildern» unter der Leitung von Manuel Menrath.
Wer nach Kanada reist und erwartet, dass Traumfänger, Shirts mit Wolfprints oder Federschmuck allgegenwärtig sind, irrt und lässt sich vermutlich von stereotypen Vorstellungen leiten. Zwar tragen einige Orte indigene Namen, aber westliche Orts- und Strassennamen dominieren. Besonders im stark katholisch geprägten Quebec sind viele Orte mit einem «Saint» versehen, wie Saint-Nicolas oder Saint-Casimir.
Um tiefer in die Geschichte und Kultur Kanadas eintauchen zu können, besucht man am besten ein Museum. Das Royal Museum in Toronto oder das Musée de la Civilisation in Quebec beeindrucken mit aufwändigen Installationen, abwechslungsreichen Oral-History-Beiträgen und beeindruckenden Rekonstruktionen. Diese Museen beleuchten die indigene Geschichte von der Zeit vor der Ankunft der Europäer bis heute. Im Mittelpunkt steht die Bedeutung des Landes, das als «Turtle Island» eine jahrhundertelange Geschichte hat und für indigene Gemeinschaften zentral ist.
Auch die kanadischen Residential Schools werden umfassend thematisiert. Ab 1920 waren alle indigenen Kinder verpflichtet, spezielle Schulen zu besuchen. Dieses Schulsystem hatte das Ziel, den Kindern mit allen Mitteln alles «Indianische» auszutreiben und so die indigene Kultur langfristig zu zerstören. Obwohl die letzte dieser Schulen in den 1990er Jahren geschlossen wurde, sind die Auswirkungen dieses Umerziehungssystems bis heute spürbar. Als Museumsbesuchende kann man dieses Leid nur erahnen. Wirklich greifbar wird es erst im direkten Austausch mit Indigenen.
In der Schweiz und auch in Kanada selbst denken heute viele noch, dass Indigene in Tipis leben. Diese Vorstellung schockiert und amüsiert zugleich. Angela Müller und Jasmin Gerig haben beispielsweise Älteste getroffen, die sich zwar daran erinnern, wie sie saisonal bedingt herumzogen und Fleisch getrocknet haben. Heute leben einige von ihnen in Reservaten – manchmal in schönen Häusern mit modernen Annehmlichkeiten wie grossen Backöfen. Mike Metatawabin lebt mit seiner Familie in einer kleinen Stadt und steht vor Neuwahlen zum Chief. Sie besuchten auch Louise Thomas und deren Söhne in einer der grössten Galerien für indigene Kunst. Ausserdem haben sie ein junges Ehepaar der Anishnawbae kennengelernt. Beide haben studiert, sind politisch aktiv und unterrichten in ihrer Freizeit indigene Sprache.
Heute lebt niemand mehr in einem Tipi, auch nicht in einem Wigwam oder Langhaus. Angela Müller und Jasmin Gerig haben bei diesen Begegnungen viel gelacht. Doch alle erzählten auch die weniger schönen Geschichten, teilten Erinnerungen aus Zeiten, als das koloniale Unterdrückungssystem noch nicht über sie hereingebrochen war. Oft brach es unverhofft aus ihnen heraus, und sie berichteten den beiden Wissenschaftlerinnen von den schweren Aspekten ihres Lebens: Diskriminierung, Rassismus, Gewalt, Missbrauch, Drogen und Suizid. Diese Erzählungen führten zu einem ständigen Auf und Ab der Gefühle und machten es manchmal schwer, als «europäische Aussenstehende» damit umzugehen.
Der Grundsatz «Nichts über uns, ohne uns» war sowohl für das SNF-Projekt als auch für die geplante Lernwerkstatt wegweisend. Nach der Kanadareise von Angela Müller und Jasmin Gerig erhält dieser Grundsatz jedoch eine neue Dimension. «Nichts über uns, ohne uns» bedeutet nicht nur, Gespräche mit Mitgliedern verschiedener First Nations Kanadas zu führen oder Themen aufzugreifen, die optimal in die Schweizer Lehrpläne passen. Er umfasst auch die Herausforderungen der interkulturellen Zusammenarbeit: Sprachbarrieren und Unsicherheiten zu überwinden, sich unvermittelt mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen und auch einfach Stille aushalten zu können.
Die geplante Lernwerkstatt wird verschiedene Themenfelder abdecken und sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Geschichte, Gegenwart und aktuellen Fragestellungen auseinandersetzen. Sie soll dazu anregen, eigene und gesellschaftliche Denkmuster zu hinterfragen und zukunftsorientierte Perspektiven zu entwickeln. Das Herzstück der Lernumgebung wird ein interkultureller Dialog mit Indigenen im digitalen Raum sein. Wie dies konkret umgesetzt werden könnte, hat sich erst im Laufe des Aufenthalts ergeben – die ursprünglichen Pläne der beiden Geschichtsdidaktikerinnen sahen anders aus. So sieht partizipative Arbeit aus.