Umgang mit Diversität gehört zur Professionskompetenz aller Lehrpersonen 

Das Schwerpunkt-Thema des Tätigkeitsberichts 2021 ist der Umgang mit Diversität. Im Gespräch erläutert Elke-Nicole Kappus Bedeutung und Formen des konstruktiven Umgangs mit Diversität in Schule und Hochschule. Sie ist Expertin in diesem Bereich und leitete bis Ende 2021 die Stabsstelle Chancengerechtigkeit.

Der Umgang mit Diversität zählt schon länger zu den strategischen Zielen der PH Luzern. Jetzt ist dieses Ziel das Fokus-Thema des Tätigkeitsberichts. Warum?

Elke-Nicole Kappus: Weil die Relevanz, einen konstruktiven Umgang mit Diversität zu finden, auch an Pädagogischen Hochschulen immer offensichtlicher wird. Ausserdem konnte 2021 mit dem Abschluss des Aktionsplans in gewissem Sinne die Ernte der Arbeiten aus vergangenen Jahren eingefahren werden; es ist schön, dass dieses Thema nun im Tätigkeitsbericht der PH Luzern einen derart prominenten Platz erhält!  

Der Tätigkeitsbericht verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit Diversität in der ganzen Hochschule Wurzeln schlägt. 

Elke-Nicole Kappus: Das zeigt sich auch darin, dass die PH Luzern in dem neuen Bundesprogramm Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit 2021-2024 sehr gut vertreten ist: In den Projekten Fachdidaktik und Diversität und diversitätssensible Studiengangsentwicklung, die 2021 lanciert wurden, ist die PH Luzern Leadinghouse mit den Partnerhochschulen PH St. Gallen und mit der ETH Zürich. Die PH Luzern präsentiert sich also auch in Fragen zum konstruktiven Umgang mit Diversität zunehmend als Kompetenz- und Impulszentrum, was ja auch ihrem Leitbild und ihrer strategischen Zielsetzung entspricht. Daher: 2021 war ein gutes Jahr für Diversität an der PH Luzern. 

Weshalb ist die Auseinandersetzung mit Diversität für Hochschulen respektive für die PH Luzern von so grosser Bedeutung?

Elke-Nicole Kappus: Nun – die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert und sie tut das fortlaufend in unglaublicher Geschwindigkeit. Gesellschaften haben sich im Rahmen der Globalisierung stetig pluralisiert, Bildungswege und -zugänge haben sich immer weiter individualisiert. Bildungsinstitutionen müssen sich in solch veränderten Kontexten immer wieder neu positionieren, um ihrem Auftrag nachkommen zu können: Menschen befähigen, aktiv an Gesellschaft und Wirtschaft teilhaben und diese auch konstruktiv mitgestalten zu können. Für die Pädagogischen Hochschulen gilt dieser Auftrag in doppeltem Sinne: Es gilt, die Institution in einem pluralisierten Umfeld und mit einer zunehmend diversifizierten Studierendenschaft zukunftsorientiert weiterzuentwickeln – und zugleich Lehrpersonen für ein integratives respektive inklusives Schulsystem auszubilden, so wie das in der UN-BRK, aber auch in der Strategie der Kammer PH swissuniversities vorgesehen ist.  Umgang mit Diversität gehört zur Professionskompetenz von Lehrpersonen – und zunehmend zur Grundkompetenz aller, die aktiv an der Gesellschaft teilhaben möchten.

Höchste Zeit, dass wir in diesem Zusammenhang den Begriff Diversität noch etwas näher definieren!

Elke-Nicole Kappus: Diversität benennt zunächst einmal einen sozialen Tatbestand: Die Studierenden, Mitarbeitenden, Partnerinnen und Partner der PH sind zunehmend divers – auch wenn diese Diversität noch weit davon entfernt ist, die gesamtgesellschaftliche Vielfalt abzubilden, wie sie sich beispielsweise in den Klassenzimmern unserer Kindergärten und oder Primarschulen zeigt. Zugleich adressiert Diversität die Frage, wie diese gesellschaftliche Vielfalt so organisiert werden kann, dass soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt möglich ist. Diversität setzt sich auch mit der Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Gemeinschaften und Gesellschaften auseinander. Diversität geht auch von der Gleichzeitigkeit von Gemeinsamkeit und Differenz aus und stellt sich damit klar gegen eine Zwei-Gruppen-Theorie beziehungsweise gegen zementierte Vorstellungen betreffend Wir und die Anderen. 

Kein Mensch und keine Gruppe sind einfach nur «anders»…

Elke-Nicole Kappus: Absolut, sobald man gemeinsame Interessen und gemeinsame Ziele definieren kann, finden sich Gemeinsamkeiten, die wiederum eine Grundlage für gemeinsames Handeln und für erlebte, für erfahrene Gemeinsamkeit schaffen. Ein konstruktiver Umgang mit Diversität unterscheidet aber auch zwischen Vielfalt, die es anzuerkennen und als Ressource zu nutzen gilt, und Ungleichheit, die es unter Berücksichtigung der Prinzipien von Chancengerechtigkeit und Nichtdiskriminierung zu überwinden gilt. Und natürlich gilt es, diese beiden Aspekte sorgsam voneinander zu unterscheiden: Armut muss man nicht zelebrieren und Mehrsprachigkeit nicht überwinden. Lehrpersonen müssen virtuos mit diesen verschiedenen Aspekten der Diversität umgehen können, um alle Schülerinnen und Schüler optimal unterrichten sowie fördern und auf ein Leben in der pluralisierten Gesellschaft vorbereiten zu können. 

Machen die Schulen das nicht ohnehin?

Elke-Nicole Kappus: Die Bildungsforschung und das Bildungsmonitoring zeigen deutlich, dass etwa soziale Herkunft, Migrationsstatus und Geschlecht nach wie vor Bildungswege stark beeinflussen – obgleich Bildungsinstitutionen Bildungschancen, und dadurch abgeleitete ökonomische und soziale Chancen, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Alter, Herkunft, Religion, sozialem Status oder von körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung sichern sollen. Diese Forderung nach Chancengerechtigkeit leitet sich einerseits aus den Menschenrechten ab, andererseits aber auch aus der Erkenntnis, dass der Gesellschaft und Wirtschaft durch die bisherigen Selektionsmechanismen im Bildungssystem Talente und Potentiale durch ihre Raster gefallen sind. 

Und wie kommen da die Pädagogischen Hochschulen ins Spiel?

Elke-Nicole Kappus: Für diese heisst das, dass sie die zukünftigen Lehrpersonen für mögliche Barrieren und Benachteiligungen sensibilisieren und mit Praktiken ausstatten müssen, die es ermöglichen, Kinder mit sehr unterschiedlichen familiären, individuellen, sozialen, physischen und psychischen Voraussetzungen im Rahmen eines gemeinsamen Unterrichts bestmögliche Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dabei geht es nicht nur um die Förderung der Individuen – es geht auch um Partizipation und Teilhabe an der Gemeinschaft, um die Förderung des Miteinanders und um den Aufbau eines Wir, das fähig ist, Herausforderungen gemeinsam anzugehen, Lösungen bei Problemen und Konflikten zu finden und in dem Diversität selbstverständlich ist.  

Es geht also nicht nur um die Gewähr, dass alle Kinder und Jugendlichen Rechnen und Schreiben können, oder relevante digitale Kompetenzen entwickeln – auch wenn dies zweifelsohne für die Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft sehr wichtig ist? 

Elke-Nicole Kappus: Genau. Es geht auch um Haltungen und Praktiken, die ein friedliches und zukunftsfähiges Miteinander ermöglichen. Die zunehmende Relevanz, welche BNE oder die Agenda 2030 in der Bildungslandschaft erfahren, zeigt in dieselbe Richtung: Es gilt, Menschen im Rahmen des lebenslangen Lernens fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft, die wohl nur durch die Partizipation und Zusammenarbeit aller zu bewältigen sind.  

Wie sieht die nahe Zukunft betreffend Diversität an der PH Luzern aus?

Elke-Nicole Kappus: Zunächst einmal kam es zum neuen Jahr zu einer Stabsübergabe: Mit dem 1. Januar 2022 geht die Leitung der Stabstelle Chancengerechtigkeit in der Stabstabteilung Hochschulentwicklung an Nicole Schäfer. Zeitgleich nimmt die Fachstelle Diversität und Inklusives Studium im Leistungsbereich Ausbildung unter meiner Leitung ihre Arbeit auf. In solche optimierten Strukturen lassen sich Fragen zum konstruktiven Umgang mit Diversität bereichsspezifisch oder noch bereichsspezifischer konkretisieren und zugleich vernetzt bearbeiten sowie weiterentwickeln. Ich bin zuversichtlich, dass die Auseinandersetzung mit Diversität weiterhin an Fahrt gewinnt und sich als «Kultur» an der PH Luzern etabliert.

Und darüber hinaus?

Elke-Nicole Kappus: Ich fand es immer wichtig, dass Equity, das heisst Chancengerechtigkeit, im Bildungsbericht Schweiz gemeinsam mit Effizienz und Effektivität als ein Element der Qualität von Bildungsinstitutionen genannt wird. Die Formel Equity + Effizienz + Effektivität = Exzellenz scheint mir – vor allem unter Einbezug der Nicht-Diskriminierung – zukunftsweisend. Die Summanden führen noch nicht immer und überall zur gewünschten Summe. Umso wichtiger ist die Rolle, welche die PH Luzern im Aufbau von Kompetenzen hierbei spielt. 

Meilensteine im Jahr 2021

 Im Jahr 2021 konnte die PH Luzern bezüglich Umgang mit Diversität insbesondere...

  • das Bundesprojekt Chancengerechtigkeit und Hochschulentwicklung swissuniversities abschliessen und in nachhaltige Strukturen überführen.
  • die Diversity Policy verabschieden und einen Leitfaden zur diversitätssensiblen Personalentwicklung verfassen – und damit wichtige Leitlinien für weitere Entwicklungen setzen.
  • das Diversity-Monitoring weiter aufbauen (siehe auch nächstes Kapitel «Diversity Monitoring»).
  • das Dossier Studieren mit Behinderung weiter bearbeiten und die «Kontaktstelle Inklusives Studium» aufbauen (siehe auch übernächstes Kapitel «Studieren mit Behinderung»).
  • Themen wie diversitätsbewusste Sprache sowie diversitätssensible Hochschuldidaktik weiter stärken.
  • Projekte – wie z.B. das GelBe-Mentoringprojekt – besser verankern und Netzwerke sichern, um Fragen zu Diversität in allen Bereichen der PH Luzern zu bearbeiten.

Diversity Monitoring

Das Monitoring von Diversität geht davon aus, dass Barrieren dann besonders gut und effizient abgebaut und Fördermassnahmen dann optimal entwickelt und eingesetzt werden können, wenn die Institution um die Diversität ihrer Studierenden und Mitarbeitenden weiss. Kurz: Eine optimale Passung von Studienangeboten und Studierenden setzt «Diversitätsbewusstsein» und «Diversitätssensibilität» voraus.

Ein Diversitätsmonitoring ist auf Daten angewiesen, die es ermöglichen, Diversität «sichtbar» zu machen. Das ist nicht immer ganz einfach, da gewisse Kategorien der Diversität – wie etwa «Migrationsstatus» respektive «Migrationshintergrund» oder «Behinderung» oder auch «sexuelle Orientierung» – noch nicht in den bisherigen «Regelbefragungen» aufgenommen wurden und/oder validierte Befragungsitems noch nicht vorliegen. Bisweilen stellen sich auch noch immer Fragen in Bezug auf den Datenschutz. Diversitätsmonitorings sind also ein «Feld in Entwicklung» und die PH Luzern ist mit dabei, dieses Feld zu bearbeiten.

2010 führte die PH Luzern als eine der ersten Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz eine Diversitätsbefragung unter den Studierenden durch. Seither ist sie bemüht, das Diversity-Monitoring in die regulären Studierendenbefragungen zu integrieren. Der Migrationsstatus der Studierenden wird seit einigen Jahren auch in der Studierendeneingangsbefragung erhoben.

Studieren mit Behinderung

Mit der UN BRK hat sich die Schweiz 2015 verpflichtet, Lehrpersonen auszubilden, die in integrativen respektive inklusiven Bildungssettings Chancengerechtigkeit auch für Schüler*innen mit Behinderung sichern respektive ermöglichen. Dass «Inklusion» funktioniert und – trotz aller Diskussionen – äusserst erfolgreich ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass immer häufiger Studierende mit einer Behinderung ganz selbstverständlich mit dem Berufswunsch «Lehrer*in» an die Pädagogische Hochschule kommen – wodurch die Hochschulen selbst mit den Herausforderungen konfrontiert werden, Inklusion auf den Ebenen Haltung, Praxis und Strukturen zu ermöglichen.

Bereits im Konzept zum Aktionsplan hat die PH Luzern den Weg von einer «guten Praxis» im Umgang mit NTA zu einer «inklusiven Hochschule» skizziert, die unter Berücksichtigung verschiedener Diversitätsdimensionen sowie der Intersektionalität eine optimale Passung von Studium, Berufsanforderungen und Voraussetzung einer diversen Studierendenschaft anstrebt. 2021 wurde die Kontaktstelle Inklusives Studium (KIS) neu in den Strukturen des Leistungsbereichs Ausbildung verankert und mit entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet, um in Zusammenarbeit mit Dozierenden, Mentoren/Mentorinnen, Studiengangsleitungen und der PH als Gesamtinstitution die Weiterentwicklung einer inklusiven Hochschule zu moderieren und zu begleiten

Abschluss Aktionsplan

Während Universitäten und Fachhochschulen seit 2000 auf Bundesgelder zurückgreifen konnten, um Strukturen und Programme rund um Chancengerechtigkeit und Gleichstellung aufzubauen, eröffnete sich diese Möglichkeit für die Pädagogischen Hochschulen erstmals 2017 – nun mit der Herausforderung, neben «Gender» auch weitere Aspekte der Diversität und z.B. Fragen aufzugreifen, wie Chancengerechtigkeit auch mit Blick auf Behinderung sichergestellt werden kann.

Die Öffnung der P7 Programms «Chancengleichheit und Hochschulentwicklung» stellte für die Pädagogischen Hochschulen – mit Blick auf die Vernetzung und Kooperation, das sichtbare Commitment und auch der finanziellen Unterstützung – einen Meilenstein dar, den die Pädagogische Hochschule Luzern mit der Definition von drei Säulen für die Hochschulentwicklung zu nutzen und nach Abschluss des P7 Programms 2017–2021 in nachhaltige Strukturen und Projekte zu überführen wusste. 


Kontakt

Leiterin Fachstelle Diversität und inklusives Studium
Elke-Nicole Kappus
Mag. art. MAS
Sentimatt 1
6003 Luzern
elke-nicole.kappus@phlu.ch
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